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Einblicke/ Ausblicke

Das Theatrium ist ein Phänomen. Punkt. Doch was wäre das Theatrium ohne all die phänomenalen Menschen, die hier über die Tage, Wochen, Jahre ein und ausgegangen sind? In unserer neuen Serie „Einblicke/Ausblicke“ wollen wir sie vorstellen.

Heute mit Michel Ben Seidel, seines Zeichens magisches Einhorn, ehemaliger Theatriumsjüngling und mittlerweile fast fertiger Schauspielstudent.

Lieber Michel, vielen Dank, dass du dich meinen Fragen stellst. Wir duzen uns noch, oder?

Ja!

Okay, dann zum Anfang zehn schnelle Fragen, zum warm werden:

Kaffee oder Tee?
Eistee

Frühling oder Herbst?
Frühling

Frühaufsteher*in oder Nachteule?
Nachteule

Buffet oder a la carte?
Buffet

Club oder Konzertsaal?
Club

Haustier oder Zimmerpflanze?
Haustier

Kino oder Fernseher?
Kino

Frühstück oder Abendessen?
Abendessen

Gemälde oder Foto?
Foto

Abendgarderobe oder Jogginghose?

Jogginghose

Kommst du so langsam rein? Ja? Dann, vervollständige bitte folgende Sätze:

Im Theater sitze ich am liebsten …
im Parkett, 3.-5. Reihe und dann am besten noch mittig

Wenn ich mich unbeobachtet fühle, passiert es mir schon mal, dass…
ich singe oder einen Popel in meiner Nase suche lacht

Manchmal frage ich mich, ob…
wir eigentlich wirklich existieren.

Einmal habe ich während einer Vorstellung im Theatrium …
Im  Theatrium habe ich das erste Theaterstück meines Lebens gesehen. Zumindest erinnere ich mich an keines vorher. Und da war ich einfach nur fasziniert wie die Leute die ich privat kannte, plötzlich jemand anders sind.

Warm geworden? Gut, dann erzähl uns doch bitte ein bisschen was über dich!

Hey ich bin Michel, mittlerweile studiere ich Schauspiel in Hamburg und das ganze neigt sich auch schon wieder dem Ende. Wie schnell die Zeit vergeht. Bald bin ich genauso lange wie ich mal im Ensemble des Theatriums war, nicht mehr da, nämlich vier Jahre. Aber ich denke oft an euch und die tolle Zeit zurück! In meiner Freizeit mache ich gerne Sport z.B. Boxen, Skateboard und Snowboard fahren, Fitness. Und ganz wichtig: mein Lieblingslied ist Cordula Grün.

Für dich ist mit dem Schauspielstudium ein Traum in Erfüllung gegangen, den wahrscheinlich viele junge Menschen hier am Theatrium träumen. Kannst du mal ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern, wie es an der Schauspielschule so zugeht? Gab es da eine Erfahrung, die dich total aus den Socken gehauen hat?   

Oh, was für eine schwierige und zugleich gute Frage! Ich versuche es mal so, Schauspielstudium ist für mich:

Zerrissenheit; zum ersten Mal wirklich in Kontakt mit seinen Gefühlen kommen; Zweifel; Orientierungslosigkeit; sich Raum nehmen; anderen Raum geben; neue Sachen ausprobieren; Sachen die man eigentlich immer gehasst hat plötzlich mögen; Wahrnehmung von so vielen Dingen, die einem vorher noch nie aufgefallen sind; Familie finden; Unterstützung; Leute die sich für dich einsetzten obwohl du dich selbst kurz aufgegeben hast;  alte Muster ablegen; sich wie eine Schlange häuten; Lebendigkeit; Hingabe; Disziplin; Vertrauen; Chaos im Kopf; Zeitmanagement; lernen seine Ausreden wegzuwerfen; täglich über Grenzen gehen; aus dem eigenen Glanz und dem eigenen Elend schöpfen und darin die Schönheit erkennen; Wiederentdeckung kindlicher Naivität; das Gefühl von innen heraus zu strahlen;  in die Ungewissheiten  rein stürzen; Überforderung; Scham zugeben; Peinlichkeit lieben lernen; Intimität teilen; Achterbahn zwischen der größtmöglichen Freude und Schmerz; Konfrontation mit seinen Ängsten; Sicherheit aufgeben; ständig seine Ansichten überprüfen; lernen mit offenen Augen in die Welt zu schauen; Verständnis an Stellen entwickeln, an denen andere keins haben; zäh sein; Freiheit; zu  sehen und zu  staunen darüber wie plötzlich deine Figuren neben dir her leben.

Jenseits von Fortschritten hat sich auch so gut wie alles an mir verändert, aber im positiven Sinne. Hart gesagt muss man bereit sein, sein altes Leben komplett hinter sich zu lassen. Das ist manchmal ganz schön schwer, aber man bekommt ja dafür viel mehr zurück. Ein Studium was dein Leben reich macht. Denn eigentlich könnte man statt Schauspiel- auch Lebens-Schule sagen.

Hand aufs Herz: was macht für dich gutes Schauspiel aus?

Wenn die Zeit und die Welt  rundherum verschwindet. Wenn es jemand schafft, dass ich jede Sekunde an ihren oder seinen Lippen klebe und ich sehe es kostet ihn/sie etwas. Dann entsteht bei mir Faszination und bleibe gern noch ein paar Minuten regungslos und nachdenklich im Saal sitzen. Aber Schönheit liegt ja bekanntlich im Auge des Betrachters.  Man findet immer etwas, was man am Ende des Tages für sich mitnehmen kann. Und das ist das das Tolle am Theater. Das jeder das selbe Stück sieht, aber es auf seine Art und Weise Erkenntnisse daraus zieht. Oder zumindest ziehen könnte.

Dreh und Angelpunkt unseres Gesprächs ist ja das Theatrium. Erinnerst du dich noch, wann und wie du das Theatrium kennengelernt hast?

Es war ein Tag Ende der 8. Klasse und wir hatten in der Schule eine Projektwoche. Jede der vier Klassen hat sich mit einem anderen Thema beschäftigt und zu meinem Glück war ich in der Klasse, die sich mit Theater beschäftigen durfte. Die Woche hat Viola geleitet und am Ende Tom, der auch mal ein Jahr am Haus war und mich eingeladen im September zur Projekteinschreibung zu kommen. Und dann begann für mich eine Zeit, die mein ganzes Leben auf den Kopf stellte und völlig veränderte, ausschließlich im positiven Sinne gemeint.

Eine kurze Momentaufnahme: was/wie/wer war das Theatrium zu dem Zeitpunkt?

Theatrium bedeutet Familie. Damals war es der Ort auf den ich mich, sobald die drei Stunden Probe vorbei waren, schon wieder sehnsüchtig gefreut habe und die ganze Woche habe ich nur drauf gewartet wieder ins Theatrium zu können. Es ist der Ort zu dem ich nach der Schule so schnell es geht hin gerannt bin, weil ich es nicht mehr erwarten konnte.

Wie lange warst du am Theatrium tätig und was hast du dort gemacht?

Ich war vier Jahre am Theatrium, habe in einigen Projekten mitgespielt, durfte in einer absolut liebevollen Umgebung an Herausforderungen wachsen und mich auf die Suche machen, wie man eine Figur zum Leben erweckt.

Hast du eine schöne/ spannende/ lustige oder einfach merkwürdige Anekdote parat?

Dein Gesicht hat eine schöne Anekdote parat.

Ich bin 17. Kathrin, sind wir eigentlich schon da? Almut, bitte nicht schubsen, ich habe einen Joghurt im Rucksack. Und Katja du bist nicht witzig.

Ps.: Ich vermisse die Nudeln von Erik und das Gute-Morgen-Lied von Beate.

Vielleicht nochmal zurück zu einer deiner vorherigen Antworten. Achtung, es könnte philosophisch werden. Was lässt dich denn daran zweifeln, dass wir wirklich existieren?

Wir leben in einer so absurden Welt in der alle nach einem Sinn und nach sich selbst suchen. Dabei vergeht die Zeit so schnell und eh man verstanden hat, dass etwas gerade passiert, ist der Moment auch schon wieder vorbei. Wer oder was gibt uns eine Existenzgarantie? Ich habe da manchmal so verschiedene andere Theorien.

Sehr spannend! Angenommen, wir würden existieren: kannst du sagen, inwieweit das Theatrium dich und deinen Lebensweg beeinflusst, vielleicht sogar geprägt hat?

Als ich ans Theatrium kam hat jeder gedacht: oh Gott wo kommt dieser anstrengende Typ denn jetzt her? Und auch wenn man mich am Anfang oft ermahnen musste, hat man mir eine Chance – und mich nicht auf – gegeben . Das war ein tolles Gefühl, dass jemand an dich glaubt. Vielen Dank für die Ehre, dass ihr mir Rollen wie Franz von Moor und Hans Scholl zugetraut habt! Das Theatrium hat mich sein lassen wie ich bin, hat mich immer unterstützt und ich weiß, dass ich immer willkommen bin. Ihr habt mir Mut geschenkt und ich habe bei euch dieses besondere Gefühl der Freiheit auf der Bühne kennengelernt. Und ich lernte auch, dass dieses Gefühl den Preis der Disziplin fordert. Disziplin die sich später in Freiheit umwandelt. Und nicht zu vergessen all die tollen Menschen die ich kennenlernen durfte und ohne die das alles und mein Leben heute nicht möglich gewesen wäre. Weil jeder Einzelne ein wichtiger Teil dieser großen Familie ist.

In deiner Theatriums-Vita steht neben Franz Moor und Hans Scholl auch Wilhelm Tell. Mittlerweile sind bestimmt noch ein paar weitere große Namen dazu gekommen. Hast du eine Traumrolle? Eine, die du unbedingt einmal spielen möchtest? Und wenn ja, was fasziniert dich so an dieser Rolle?

Oh, da gibt es einige. Gerade habe ich für unser Absolvent*innen Vorsprechen einen Monolog von Liam aus Waisen von Dennis Kelly gearbeitet. Den würde ich gern unbedingt mal über das ganze Stück spielen. Kernpunkt ist, dass Liam jemanden verprügelt und niedergestochen hat und dann seine Schwester, die Einzige die ihm noch geblieben ist, aufsucht. Er platzt jedoch in ein romantisches Abendessen zwischen ihr und ihrem Mann und merkt ganz schnell, dass er nicht in die Situation reinpasst und ihn auch eigentlich niemand haben will. Ein Monolog, wo so viel drin steckt und mit dem man so viel erzählen kann. Das coolste, was mir mal jemand dazu von außen sagte war: „Man sieht zwar die ganze Zeit was er für Scheiße macht, aber man versteht ihn auch. Dadurch ist man hin und hergerissen.“ Zwar gibt es keine Rechtfertigung für seine Tat, aber wir sollten erkennen, dass jede*r Einzelne von uns eine Verantwortung gegenüber anderen Menschen hat. Diese fängt für mich beim genauen Hinschauen und beim Urteilen an.

Solche Rollen will ich spielen. Rollen die von Menschlichkeit in all ihren Facetten erzählen – auch den negativen. Rollen mit denen ich die Zuschauer zwingen kann, auch mal aus anderen Perspektiven über unsere Welt da draußen nachzudenken.

Und ich würde wahnsinnig gern den Franz von Moor nochmal spielen!

Was würdest du uns aus deiner jetzigen Sicht gerne mit auf den Weg geben?

Bleibt wie ihr seid!

Und zuletzt: Was wünschst du dir?

Dass noch ganz viele Kinder und Jugendliche ein genauso tolles Zuhause bei euch finden wie ich es finden durfte! Dass nichts und niemand eure tolle Arbeit aufhalten kann und dass ich auch beim 100 jährigen Jubiläum dabei sein kann.

Danke, Michel!